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Dagegen bin ich doch immun!
Oder nicht?

Warum wir uns vor Viren schützen sollten

Dr. Claus-Peter Kos, für „Gesundheit im Beruf“, BfA

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Wenn Sie dieser Aufforderung nachkommen, sind Sie im übertragenen Sinne eine infizierte Wirtszelle. Wenn Sie sich fragen, was das denn soll, und der Aufforderung nicht folgen, dann sind Sie sozusagen eine immune Zelle. Ihr Abwehrsystem funktioniert.

Im Grunde reduziert sich die Funktionalität von Viren auf ähnliche Weise. Jedes Virus hat einen einzigen Lebenszweck, dieser kann in einer Art Befehl zusammengefasst werden. Ein Virus besteht nur aus genetischen Informationen, hat keinen eigenen Stoffwechsel, keine für Wachstum und Teilung erforderlichen Enzyme und somit keine eigenständige Lebensmöglichkeit. Es befällt Wirtszellen und veranlasst diese, statt normaler eigener Zellsubstanz Virenmaterial herzustellen, weshalb man das Virus auch „Gebilde mit geborgtem Leben“ nennt. Im Gegensatz dazu sind Bakterien oder Amöben eigenständige Lebewesen, auch wenn es sich bei ihnen nur um Einzeller handelt. Höher entwickelte Organismen verfügen über mehrere, spezialisierte Zellen, um im Existenzkampf zu bestehen.

Damit die nächste Generation der Zellen weiß, was sie machen soll, ist eine derartige Information in der wie eine Strickleiter aufgebauten, doppelsträngigen DNS (Desoxyribonukleinsäure) niedergelegt. Das Alphabet für diesen Text hat im Grunde nur vier verschiedene Buchstaben: A, T, C und G – die Anfangsbuchstaben der Basen Adenin, Thymin, Cytosin und Guanin. Um die Erbinformation kopieren zu können, gibt es im Zellkern noch die ähnlich wie die DNS, aber einsträngig aufgebaute RNS (Ribonukleinsäure). Statt Thymin enthält sie die Base Uracil. Viren enthalten als genetische Information nur entweder DNS oder RNS. Ähnlich wie die sinnvoll aneinandergereihten Buchstaben des Alphabets den Informationsgehalt eines Textes ausmachen, bestimmt die wechselnde Aufeinanderfolge der Basen den Informationsgehalt der Gene für die Vererbung. Nimmt man diesen Vergleich zu Hilfe, enthält die auf ein Mindestmaß reduzierte Information eines Poliovirus (ein relativ kleines Virus, Auslöser von Kinderlähmung), 7.741 Buchstaben. Ein größeres Virus, z. B. ein Grippevirus, hat weit mehr als 200.000 Buchstaben. Stellen Sie sich vor, dass die 7.741 Buchstaben des Poliovirus ohne Punkt und Komma wie auf einen Bindfaden aufgezogen sind und Sie knäueln diesen Bindfaden zusammen, damit Sie ihn ordentlich wegpacken können. Jetzt haben Sie ein "gepacktes Virus".

Polio-VirusPolio-Virus

Dieses kleine Kügelchen gelangt durch Schlucken in den Körper und erreicht deshalb zwangsläufig die Darmschleimhaut. Die Hülle eines jeden Virus hat bestimmte Ausformungen, die nicht nur wie ein Schlüssel aussehen, sondern auch so funktionieren. Sie öffnen Zellen, um den Informationsinhalt des Virus in diese Zelle einzuschleusen, damit die Vervielfältigung in Gang gesetzt werden kann. Wie bei einem Schlüsselbund gibt es Schlüssel, die nur ganz bestimmte Türen, in diesem Falle Zellen, öffnen. Der Poliovirus gehört zu der Gruppe der Enteroviren, d. h. zu der Gruppe der Viren, die einen Schlüssel für Darmschleimhautzellen auf der Oberfläche haben. Das Grippevirus (Influenzavirus) hat Schlüssel für die Schleimhautzellen der oberen Luftwege und der Lungen. Viren, die Warzen der Haut hervorrufen (Gattung Humane Papilloma Viren), haben also offensichtlich Schlüssel für Oberhautzellen, ein Pockenvirus (Orthopoxvirus) greift überwiegend Hautzellen an und das gefürchtete Ebolavirus (Gattung Filovirus) hat die Wände der Adern als Ziel und löst diese allmählich auf.

Wenn ein Virus mehrere Schlüssel hat, kann es mehrere Zelltypen öffnen, hat andererseits eine Zelle mehrere Schlösser (Rezeptoren), können mehrere Viren in diese Zellen eindringen. Nur wenn Schloss und Schlüssel zusammenpassen, kann es zu einer Infektion kommen.

Ist das Virus einmal in eine Zelle eingedrungen, setzt es den Kopiermechanismus der Zelle in Gang. Dies erfolgt vergleichsweise nicht wie in der modernen Büropraxis, indem Sie dieses Blatt über einen Kopierer schieben würden. Es geschieht eher nach der mittelalterlichen Kopiermethode: Buchstabe für Buchstabe wird abgeschrieben, und das millionenfach - so lange, bis die Zellen ausgelaugt sind und kaputtgehen. Mit dem Tod der Zellen werden diese Millionen Viren freigesetzt und suchen sich die nächsten Wirtszellen. Wie bei jedem Schüler im Diktat können bei diesem Kopiervorgang auch Schreibfehler passieren, in diesem Falle Mutationen genannt. Nur wenn im neuen Text durch eine Mutation ein sinnvolles Wort entsteht, lebt das veränderte Virus weiter und gibt die neue Information an die nächste Generation; ansonsten stirbt er.

Das heute so gefürchtete Virus SARS (schweres akutes respiratorisches Syndrom) kommt aus der Gruppe der Coronaviren. Bisher passten die Schlüssel dieser Viren nur für Zellen von Tieren wie z. B. Katzen. Eine dieser zufällig entstandenen Mutationen hat den Schlüssel geändert, so dass er jetzt auch für Menschenzellen passt. Die Infektionskette hat begonnen. Abwehrkräfte gegen SARS entwickelten diejenigen, die diese Krankheit überlebt haben. Da aber noch nicht genügend Wissen und Erfahrung über diesen neuen Virustyp vorliegen, ist es gegenwärtig auch so schwierig, eine Impfung zu entwickeln.

Kenntnisse ermöglichen Nachbau von Viren

Corona-VirusElektronenmikroskopische
Aufnahme eines Corona-Virus

Erstmals ist es Chemikern und Molekulargenetikern gelungen, das Erbgut des Poliovirus im Reagenzglas nachzubauen. Ebenfalls im Reagenzglas entstanden daraus infektiöse Viruspartikel, die Tiere lähmten oder sogar töteten, wenn auch „weniger aggressiv“ als das natürliche Virus. Dieses Forschungsergebnis können die Wissenschaftler um den deutschen Professor Eckard Wimmer von der New York Universität in Stony Brook für sich verbuchen. Wie sie im US-Wissenschaftsmagazin "Science" (297, 2002) berichteten, hatten sie das Poliovirus-Genom ausschließlich auf chemischem und biochemischem Wege anhand des bereits vor 20 Jahren entschlüsselten Bauplans mit seinen 7.741 Buchstaben synthetisiert. Prof. Wimmer und seine Kollegen konnten ohne intakte Zellen im Reagenzglas aus dem synthetisierten Poliovirus-Genom komplette Viren herstellen. Im Prinzip können alle Viren inzwischen hergestellt und freigesetzt werden. In Bezug auf den internationalen Terrorismus sind damit jedoch auch große Gefahren verbunden.

Impfungen nicht vergessen!

Es ist die Aufgabe der medizinischen Wissenschaft und Forschung sowie der Industrie, sichere Impfstoffe für jedes gefährliche Virus herzustellen. Auf bekannt gewordene Virusmutationen kann man dann auch schneller reagieren. Die Pockenimpfung basiert auf einem Lebendvirus, der abgeschwächt wurde. Aufgrund der vielen Mutationen entstehen auch immer wieder die gefährlichen Varianten der Pocken. Jüngstes Beispiel: Unter amerikanischen Soldaten forderte eine für den Einsatz im Irakkrieg vorab durchgeführte Impfung mit altem, nicht weiterentwickeltem Serum gegen Pocken drei Todesopfer und viele schwer Erkrankte. Bei allen Impfungen mit Lebendimpfstoffen können Komplikationen dieser Art auftreten, so genannte Impfschäden. Erst seit der Impfung mit abgetöteten Viren (wie die Spritzenimpfung gegen Polio) treten diese Komplikationen nicht mehr auf. Jedoch müssen diese Impfungen spätestens alle zehn Jahre aufgefrischt (geboostert) werden, da die Wirkung mit der Zeit abgebaut wird, wenn Sie keinen Kontakt mit diesem Virus hatten. So verhält es sich z. B. bei der Tetanusimpfung (Wundstarrkrampf).

Vergessen Sie nicht: Es gibt keine heilende Therapie bei einer Virusinfektion. Nur die Vorsorge – sprich Impfung – gibt Ihnen eine Chance, eine Viruserkrankung zu vermeiden bzw. besser zu überstehen. Ihr Arzt wird Sie beraten.