Erläuterungen zur Poliomyelitis

Die Poliomyelitis ist eine oft epidemieartig auftretende, weltweit verbreitete Enterovirusinfektion, die zu Lähmungen und Tod führen kann.

3 Typen humanpathogener Poliomyelitisviren sind bekannt:
  • Typ 1 (Brunhilde): häufig und mit schweren Symptomen
  • Typ 2 (Lansing): milde Symptomatik
  • Typ 3 (Leon): selten, aber schwere Symptome

Polioviren vermehren sich hauptsächlich im Lymphgewebe der Darmlymphknoten und werden über den Kot ausgeschieden. Die Tonsillen können ebenfalls befallen sein, wodurch die Erreger dann oral ausgeschieden werden.

Epidemiologie

Poliovirusstämme sind streng artspezifisch. Übertragung: oral/fäkal, Schmutz- und Schmierinfektion, aerogen.

Verlaufsschema der Poliomyelitisinfektion

Verlauf der Poliomyelitis

Pathogenese

Nach Infektion Ansiedeln des Erregers in Darmlymphknoten und Tonsillen; Besiedelung von Monocyten.

Eintritt in die Zelle

Der Rezeptor für das Poliovirus auf den Monozyten ist ein bisher unbekanntes Mitglied der IgG Superfamilie. Dieses Molekül ragt von der Zielzelle heraus und stößt in eine Vertiefung oder „canyon“ auf der Poliovirusoberfläche ein. Diese Schluchten sind so eng, dass zum Beispiel Antikörper nicht hineinpassen. Die Interaktion zwischen Rezeptor und Schlucht führt zu seiner Endozytose. Danach kommt es während des Ansäuerns des Endosoms zum Verlust von viralen Capsidproteinen (VP 4 und möglicherweise VP 2), das Capsid lagert sich an die endosomale Membran und Poren entstehen. Die virale RNA wird aus diesen Poren in das Cytoplasma geschleust.

Das Poliovirus kann möglicherweise auch durch einen ph-unabhängigen Prozeß in Zellen gelangen.

Interaktionen zwischen Rezeptor und Virus können auch ohne Ansäuerung zum Verlust der viralen Capsidproteine (VP4) führen. Diese Konformationsänderung führt zur Freilegung einer Domäne, die es dem Virus ermöglicht, durch Fusion mit der Zellmembran in die Zelle einzudringen.

Ausbreitung über Monocyten in andere Lymphknoten, wo es sich weiter vermehrt: Erste Virämie (Vorkrankheit).

Verbreitung über den gesamten Organismus, Besiedelung des Rückenmarks und des ZNS: Zweite Virämie.

Infektion der Vorderhornzellen und der Motoneurone => schlaffe Lähmung => Inaktivitäts-Atrophie der Muskeln.

Krankheitsbild

Über 90 % der Infektionen verlaufen, ohne dass der Betroffene irgendwelche Beschwerden hat. Kommt es zu Symptomen, so tritt die Erkrankung in drei Formen in Erscheinung:
  • leichte, unspezifische, fieberhafte, 1-2 Tage dauernde Erkrankung mit Kopf- und Halsschmerzen, eventuell leichter Durchfall.
  • ohne Lähmungen verlaufende Gehirnentzündung mit Fieber, Hals- und Rachenentzündung, Kopfschmerz, Übelkeit, Erbrechen.
  • „echte“ Kinderlähmung: Schlaffe Lähmungen von Muskeln der Extremitäten, Hirnnervenausfälle.
  • Wenn das Atemzentrum mitbetroffen ist - meist Atemlähmung. Es können Krämpfe, hohes Fieber und Bewusstseinstrübungen vorkommen. Lange, ausgedehnte Rekonvaleszenz, die bis zu zwei Jahren dauert. Spätschäden häufig.

Diagnose

Nachweis des Erregers oder von Antikörpern gegen den Erreger.

Behandlung

Keine, außer Pflege des Patienten. Die Polio verläuft schicksalhaft.

Bedeutung und Vorkommen

In vielen Ländern des asiatischen Raumes ist Polio nach wie vor heimisch, jedoch unternimmt die Weltgesundheitsorganisation gewaltige Anstrengungen, die Polio auszurotten. In Europa kommen immer wieder durch Touristen eingeschleppte Fälle vor, manchmal mit fatalen Folgen.

Allgemeine Verhaltensempfehlungen für Post-Polio-Patienten

Achten Sie auf Ihre Körpersignale!

  • Zwingen Sie sich nicht zu vermehrter Leistung, wenn Ermüdungserscheinungen auftreten!
  • Der Wechsel zwischen Bewegung und Ruhe, zwischen Arbeit und Erholung sollte unbedingt eingehalten werden.
  • Körperliche Anstrengung darf nicht die Schmerzgrenze übersteigen.
  • Ist eine kurzfristige Muskelbelastung nicht zu vermeiden, müssen unbedingt zwischendurch und danach Ruhepausen eingelegt werden.
  • Vermeiden Sie Gewichtszunahme.
  • Ausgewogene Ernährung, wenig Süßigkeiten, evtl. eine Diätkur verhelfen zu einem allgemein besseren Körpergefühl. Starker Alkoholkonsum verringert die Leistungsfähigkeit der Muskeln und vergrößert die Sturzgefahr.
  • Überprüfen Sie Gefahrenquellen in Ihrer Wohnung oder am Arbeitsplatz. Rutschende Teppiche, glatte Schuhsohlen auf Parkett, Stolperschwellen oder gewagte Klettereien, etwa beim Hausputz, führen oft zu gefährlichen Stürzen.

Hilfsmittel

Benutzen Sie frühzeitig Hilfsmittel - wie etwa einen Gehstock, Rollator, Rollstuhl oder eine Atemhilfe - bei Bedarf! Warten Sie nicht so lange, bis Sie auf diese Hilfsmittel zwangsweise angewiesen sind!

Mobil bleiben!

Sprechen Sie anderen gegenüber offen über Ihre Behinderungen. Erlegen Sie sich keine unnötigen Anstrengungen auf. Auch kurze Gehstrecken können zur Qual werden, vor allem unter Zeitdruck. Nehmen Sie öfters Ihr Auto oder ein Taxi, anstatt schlecht gelaunt alleine daheim zu sitzen!

Atemprobleme

Geraten Sie nicht in Panik, wenn die Atmung Schwierigkeiten macht! Durch regelmäßige Lebensweise, genügend Schlaf und möglichst wenig Aufregung können Sie die Atemleistung selbst gut beeinflussen. Erkältungen sollten gut ausgeheilt werden. Bei stärkeren Beschwerden suchen Sie einen Lungenfacharzt auf und lassen Sie sich ein Atem-Hilfsgerät verschreiben.

Arztbesuche

Gehen Sie nicht davon aus, dass Ihr Arzt über Polio oder Post-Polio-Syndrom Bescheid weiß. Informieren Sie sich selbst und sprechen Sie in Ruhe mit ihm darüber. Der Zusammenhang zwischen der ursprünglichen Erkrankung und den Sekundärschäden sollte auf jeden Fall klar werden. Geben Sie ihm Info-Material, z.B. dieses Polio-Info.

Ruhepausen

Überprüfen Sie Ihren Lebensstil! Oft helfen geringfügige Änderungen des Tagesablaufes, eine Ruhepause, ein weniger anstrengendes Hobby, eine Hilfe für den Haushalt oder Garten etc., um wieder mehr Lebensqualität und Lebensfreude zu gewinnen.

Schmerzbehandlung

Narkotika (z. B. Morphium, Muskelrelaxantien) sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Als gelegentlich schmerzlinderndes Mittel wird Acetylsalicylsäure (ASS, z.B. Aspirin®, Godamed®) o.a. empfohlen. Achten Sie darauf, dass Ihre meist schlecht durchbluteten Arme und Beine nicht zu sehr auskühlen. Gönnen Sie sich eine Wärmflasche, ein warmes Bad oder eine Dusche, warme Strümpfe und Schuhe. Feuchte Wärme hilft auch gegen Muskelschmerzen. Fangopackungen in regelmäßigen Abständen (14-tägig) für den Rücken, in Kombination mit Massage, lindern Ihre Nackenverspannungen und die Neigung zu Hexenschuss.

Bewegung

Gymnastik sollte sehr vorsichtig betrieben werden. Kein Krafttraining!
Schwimmen ist die beste Ausdauerübung, am wirkungsvollsten in Thermalwasser (nicht unter 30 Grad)!
Jede Übung ist sofort abzubrechen, wenn Schmerz empfunden wird.